Beobachter 14/07 – Text: Dominique Strebel, Bild: Renate Wernli

Seit zwei Jahren lebt die zwölfjährige Sonia bei ihrem Schweizer Vater. Nun soll sie zu den Grosseltern nach Afrika ausgeschafft werden. Ihr Lehrer und ihre Mitschüler wehren sich.

Bei meinem Vater will ich bleiben und bei meinen Freunden», sagt Sonia Idemudia. «Das hier ist mein Daheim.» Nein, sagt das Zürcher Migrationsamt. Sonias «Daheim» sei nicht bei ihrem Schweizer Vater und seiner fünfköpfigen Familie in Schwamendingen, sondern beim 89-jährigen Grossvater und der 69-jährigen Grossmutter in Nigeria. Zu ihnen habe Sonia die «vorrangige Beziehung». Deshalb müsse sie Ende Juli die Schweiz verlassen. Das kann Sonias Mitschülerin Barbara nicht verstehen: «Sonia darf nicht ausgeschafft werden. Ihre Grosseltern sind doch alt. Vielleicht sterben sie bald. Dann ist sie allein.»

Gesetze stehen über dem Kindeswohl

Die zwölfjährige Nigerianerin lebt seit zwei Jahren illegal als Papierlose in der Schweiz bei ihrem eingebürgerten Vater Elvis Idemudia. In dieser kurzen Zeit hat sie es geschafft, Hoch- und Schweizerdeutsch zu lernen und den Anschluss in den Schulen zu finden. «Sonia ist ein Musterbeispiel für gelungene Integration», sagt ihr Lehrer Jürg Wiederkehr. Sie habe eine rasche Auffassungsgabe, sei sozial sehr kompetent und werde von allen Mitschülerinnen und Mitschülern geliebt. «Im Hinblick auf das Kindeswohl erachte ich einen Verbleib in der Schweiz als absolut zwingende Notwendigkeit», meint Wiederkehr. Und der Schulpsychologische Dienst doppelt nach: «Eine Ausweisung würde die Entwicklung und psychische Integrität äusserst gefährden.» Doch das Migrationsamt gewichtet formaljuristische Gründe höher als das Wohl des Kindes.

«Es ist gemein, dass der Staat sagt, sie müsse zurück nach Nigeria», meint Mitschülerin Tiara. «Wir wollen doch auch alle bei unseren Eltern leben.»

Das Bundesgericht hat aber eine strenge Praxis, wenn nur ein Elternteil ein Kind zu sich in die Schweiz nehmen will. Würden Sonias Vater und Mutter zusammen hier leben, wäre der Familiennachzug problemlos. Doch Sonias Mutter ist kurz nach der Geburt verschwunden. Vor vier Jahren wollte der Vater Sonia legal in die Schweiz kommen lassen. Doch damals urteilten die Gerichte, dass sie vor allem eine Beziehung zu ihren Grosseltern in Nigeria habe. Der Vater habe acht Jahre lang gewartet, bis er seine Tochter in die Schweiz habe holen wollen. Das sei zu lang. «Ich habe Sonia regelmässig in Nigeria besucht und seit Jahren zum Teil mehrmals pro Woche angerufen», sagt Idemudia. «Erst als ich in der Schweiz ein stabiles Zuhause geschaffen hatte, konnte ich meine Tochter bei mir aufnehmen.»

Vor zwei Jahren nahm der Vater Sonia zu sich in die Schweiz. Illegal – weil seine Eltern immer älter und kränker wurden und die Tochter vor der Pubertät stand. «Hatte ich dazu nicht die Pflicht? Ich muss doch als Vater für meine Tochter sorgen.» Diesen Frühling nun wollte er sie anmelden. Doch das Migrationsamt blieb hart.

«Ausschaffung wäre eine Katastrophe»

«Das Migrationsamt stellt eine scharfe Ausländerpolitik über das Kindeswohl und den Schutz des Familienlebens», sagt Rechtsanwalt Marc Spescha, Spezialist für Ausländerrecht. «Damit verstösst es gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wie einige neue Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg zeigen.» Deshalb hat Spescha für Sonia beim Zürcher Regierungsrat Rekurs eingereicht. «Die Ausschaffung wäre für Sonia traumatisch und für unseren Rechtsstaat eine Katastrophe», meint der Anwalt.

«Ich verstehe das nicht», sagt Mitschüler Armin. «Sonia hat sich hier ja keine Feinde gemacht. Wieso sagt der Staat nicht: Wir könnens ja mal probieren?»