Im Herbst 2003 lud der VeV den bekannten deutschen Männerforscher Prof. Dr. Dr. Michael Bock zu einem Vortrag an der Fachhochshule Windisch ein. Hier sein damaliger Text.
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Prof. Dr. Dr. Michael Bock

Häusliche Gewalt
Wie viele Männer und wie viele Frauen üben sie aus?

Vortrag auf Einladung des VeV in Brugg-Windisch (Schweiz) am 29.9.03

Inhalt:

Die Funktion von Zahlen in der politischen Diskussion um häusliche Gewalt

2.    Die Zahlen sagen: Häusliche Gewalt ist nicht allein Männergewalt gegen Frauen und Kinder

3.    Streit um Zahlen ist immer ein Streit um Sachprobleme und Praxisprobleme

4.    Rückkoppelungsschleifen zwischen Zahlen und Realität

5.    Kontraproduktive Effekte einer nur auf weibliche Opfer ausgerichteten Gewaltschutzpolitik

6.    Zusammenfassung und Folgerungen für das aktuelle Gesetzgebungsverfahren 

1.    Die Funktion von Zahlen in der politischen Diskussion um Häusliche Gewalt

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Die Zeiten, in denen man meinte, familiäre Streitigkeiten seien Privatsache und gin­gen die Öffentlichkeit und die Strafverfolgungsorgane nichts an, sind vor­bei. Dies ist zweifellos ein Verdienst der Frauenbewegung. Österreich war Vorreiter mit gesetzlichen Regelungen zum Gewaltschutz und zur Wohnungsverweisung. In Deutschland war der Erlass des so genannten Gewaltschutzgesetzes der vorläufige Höhepunkt in dieser Entwicklung. Die Polizeigesetze der Länder werden noch laufend an den neuen Geist angepasst. Und um ein solches geht es jetzt auch im Kanton Aargau. Dies ist der Anlass für diesen Vortrag.

Gemeinsam ist allen diesen Gesetzgebungsverfahren, dass sie eingelagert sind in eine gleichermaßen vielstimmige wie in der Sache eintönige politische Begleitmusik von Verlautbarungen und Bekenntnissen, von Aktionsplänen und Projekten, von amtlichen Broschüren und Flyern, in denen immer wieder Zahlen eine beherrschende Rolle spielen. Zahlen über häusliche Gewalt sind das Skelett der immer gleichen Dramaturgie, die dann scheinbar wie von selbst auf eine Forderung nach Verschärfung der Gesetze gegen Männer und Erweiterung der Hilfen für Frauen hinausläuft.

Lassen Sie mich gleich direkt in hiesige Diskussion einsteigen, die diesem Muster ebenfalls folgt. Mir liegt ein Dokument vor, welches das jetzt anstehende Gesetzgebungsverfahren maßgeblich bestimmt hat und welches ein ganz typisches argumentatives Arrangement enthält, in dem wie üblich der scheinbar unwiderstehliche Zauber von Zahlen die entscheidende Rolle spielt.

Folie 1 – Aargauer Interventionsprojekt

Zunächst wird mit einer Horrorzahl der Gewalt gegen Frauen der Anschluss an archaische Emotionen hergestellt. Jede fünfte Frau! Das ist doch einfach unvorstellbar, entsprechend dramatisch muss wohl die Lage sein und ebenso dringlich die Abhilfe durch neue Maßnahmen. Aber aufgepasst, die schlimme und häufige häusliche Gewalt existiert nur als Gewalt gegen Frauen. Bei Männern gibt es nur eine theoretische Möglichkeit. Man gebraucht deshalb den Konjunktiv. Sollte es wider Erwarten doch einmal geschehen, dass ein Mann Opfer wird, so wäre gleich zu verfahren. Eigentlich kann das aber gar nicht sein, denn die Definition von häuslicher Gewalt besagt ja, dass diese nur durch Männer ausgeübt werden kann. Dies aber freilich nicht nur in den Varianten der körperlichen und sexuellen Gewalt, sondern auch in den noch weit per­fideren, weil unsichtbaren Formen der psychischen und der struktu­rellen Gewalt, also eigentlich immer, wenn ein Mann und eine Frau in einer patriar­cha­lischen Gesellschaft zusammen sind. Wen wundert es da noch, dass Schwachstellen nur beim Schutz weiblicher Opfer und der Kontrolle männlicher Täter gesehen und entsprechende Abhilfen gefordert werden?

Dies, meine Damen und Herren, ist die politische Begleitmusik, die ich meine. Sie liegt der Begründung der deutschen Bundesregierung zum Gewaltschutzgesetz ebenso zu Grunde[1] wie den vielen Verschärfungen der Polizeigesetze der Länder, die den Platzverweis betreffen. Und eben weil, wie gesehen, Zahlen hierbei die zentrale Rolle spielen, müssen wir uns im Folgenden zunächst ausführlich mit Zahlen befassen.

2.    Die Zahlen sagen: Häusliche Gewalt ist nicht allein Männergewalt gegen Frauen und Kinder

Die Gewalt in Partnerschaften ist vergleichsweise gut erforscht.[2] Die Befunde sind aber, wie immer in der Wissenschaft, von den verwendeten Begriffen und Methoden abhängig. So ist schon „Gewalt“ kein empirischer, sondern ein normativ wertender Begriff. Bestimmte Verhaltens­weisen werden durch ihn mit einem Unwerturteil belegt und es hängt vom Betrachter ab, ob er a) überhaupt dieses Unwerturteil teilt und b) ob er den betreffenden Lebenssachverhalt unter diesen Begriff subsumiert. Dasselbe gilt für „Kriminalität“ oder „kriminell“. Die Bezeichnung eines Verhaltens als kriminell impliziert eine Bewertung, die wiederum von der Perspektive abhängt, mit der jemand auf dieses Verhalten blickt. Sowohl der Akteur selbst als auch seine Interaktionspartner können hier zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und unterschiedliche Konsequenzen ziehen. Diese Zusammenhänge haben natürlich auch beträchtliche Folgen für die wissenschaftliche Forschung.

Die weit überwiegende Zahl der empirischen Forschungen lassen sich zwei methodischen Richtungen zuordnen. Zum einen gibt es Untersuchungen im so genannten Hellfeld, die als „klinische“ Studien oder als „Kriminalitätsstudien“ bezeichnet werden. In diesen Studien werden – wie auch in den amtlichen Kriminalstatistiken – bei insgesamt relativ geringen Fallzahlen regel­mäßig deutlich höhere Quoten für Männer als Täter und Frauen als Opfer häuslicher Gewalt berichtet.[3] Was in diesen Studien gemessen wird, ist jedoch ein sehr „spätes“ Resultat verschiedener Bewertungs- und Beurteilungsvorgänge. Ein „Opfer“ muss ein Verhalten eines „Täters“ subjektiv als „Gewalt“, vielleicht auch als „Kriminalität“ bewertet haben und es muss sich nach abwägender Antizipation von Vor- und Nachteilen dafür entschieden haben, sein soziales Umfeld, eine Hilfsorganisation oder auch die Strafverfolgungsbehörden von dem Vorgang in Kenntnis zu setzen respektive um Hilfe zu bitten.

Der andere Typus von empirischen Untersuchungen operiert mit dem für empirische Forschung in diesem Bereich frühesten Messzeitpunkt, der überhaupt möglich ist. Das in Rede stehende Verhalten wird hier nämlich a) unabhängig davon gemessen, ob es (vom Opfer oder vom Täter) als „Gewalt“ oder als „kriminell“ angesehen wird, und b) auch unabhängig davon erhoben, ob das Opfer sich mit seiner Opfererfahrung dem sozialen Umfeld, Hilfseinrichtungen oder den Strafverfolgungsbehörden anvertraut hat. Es handelt sich bei diesen, international in großer Zahl vorliegenden, Untersuchungen also um so genannte Dunkelfeldbefragungen, in denen streng genommen auch nicht „Gewalt“ gemessen wird, sondern aggressives Verhalten.

In der Regel verwenden diese Untersuchungen eine Skala, die so genannte „conflict tactics scale (CTS)“.

Folie – CTS

Diese Skala enthält eine Liste von aggressiven Verhaltensweisen, die den Befragten zur Beantwortung vorgelegt wird. Sie umfasst von – hier weggelassenen – verbalen Beschimpfungen und Beleidigungen über leichte physische Aggressionen wie Schubsen oder Ohrfeigen bis hin zu schweren Formen physischer Aggressionen wie Verbrühen, Verprügeln und dem Einsatz von Waffen alle Intensitätsgrade in aufsteigender Reihenfolge. Dies ist sehr wichtig. Der Umstand, dass streng genommen aggressives Verhalten und nicht Gewalt oder Kriminalität gemessen wird, heißt also keineswegs, dass es sich dabei nur um harmlose Vorkommnisse, Familienkrach oder belanglose alltägliche Streitigkeiten handelt, sondern im oberen Bereich durchaus auch um Verhaltensweisen, die bei Anzeige strafrechtlich ohne weiteres als schwere Körperverletzung subsumiert würden. Die Skala selbst und die Studien wurden im Übrigen im Laufe der Zeit mit zusätzlichen Fragen angereichert, etwa nach Verletzungsfolgen, nach Motiven oder danach, wer mit den aggressiven Verhaltens­weisen angefangen hatte[4].

Zu dieser Forschungsrichtung existieren inzwischen komprimierte Darstellungen[5] sowie eine zu Recht viel zitierte empirische Meta-Analyse des britischen Kriminologen John Archer.[6] Danach legen Frauen und Männer die in der CTS operationalisierten aggressiven Verhaltensweisen nahezu gleich häufig an den Tag, Frauen sogar etwas mehr, und zwar gilt dies in allen Intensitätsgraden, also auch für die schweren Formen aggressiven Verhaltens. Varianten im Forschungsdesign der in die Analyse einbezogenen insgesamt 82 Untersuchungen bewirkten nur vergleichsweise geringe Abweichungen von diesem Gesamtbefund.[7] Bei den wahrgenommenen Verletzungen gibt es ein Übergewicht für die Frauen (62% der berichteten Fälle waren Frauen).[8] Ein weiterer wichtiger Befund war der, dass in den meisten Fällen die Gewalt von beiden Partnern wechselseitig ausgeübt wird.[9]

Die beiden Typen von Untersuchungen messen „Gewalt“ zu unterschiedlichen Zeitpunkten. So ist es nicht verwunderlich, dass sie auch zu geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Quoten von Tätern und Opfern kommen.

Folie – Männliche Opferraten nach Erfassungsmodalitäten

In dieser Übersicht ist zu erkennen, dass die Quoten männlicher Opfer immer weiter zurückgehen, je mehr ihre eigenen geschlechtsspezifischen Wahrnehmungsweisen und die selektive Wahrnehmung von Hilfs- und Kontrollinstanzen interferieren können. So ist schon die Frage, ob etwas als eine behandlungsbedürftige Verletzung angesehen werden muss, von geschlechtsspezifischen Einschätzungen abhängig – Indianer kennen keinen Schmerz -, ebenso die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten „Gewalt“ ist oder ob man wegen Drohungen des Partners wirklich Angst haben muss oder nicht. Frauen und Männer nehmen aufgrund von Rollenverständnissen objektiv gleiches Verhalten unterschiedlich wahr und bewerten es unterschiedlich. Es ist deshalb nahe liegend und plausibel, die unterschiedlichen Quoten männlicher Opfer in den beiden Untersuchungstypen auf innere und äußere Hürden beim Weg vom Dunkelfeld ins Hellfeld zurück zu führen.

Folie – Vom Dunkelfeld zum Hellfeld

Zwar ist auch für die meisten weiblichen Opfer der Schritt in die Kommunikation und die Öffentlichkeit nicht leicht. Scham über das Scheitern in der Partnerschaft und die Angst vor einer ungewissen Zukunft halten auch viele Frauen von diesem Schritt ab. Wenn sie sich allerdings überwinden (oder wenn sie dies aus strategischen Gründen für opportun halten), bedeutet das „outing“ für Frauen oft eine Verbesserung ihrer materiellen, psychischen, sozialen und rechtlichen Lage. Deshalb wählen sie häufiger als Männer den Weg in die Öffentlichkeit, zu den „Experten“, zur Polizei und zu den Gerichten.

Bei Männern sieht dies alles ganz anders aus. So hindert die meisten männlichen Opfer schon ihre Geschlechtsrollenidentität daran, sich selbst als Opfer von „Gewalt“ einer (ihrer) Frau zu sehen, denn dies ist mit einer achtbaren männlichen Identität nicht vereinbar. Doch selbst wenn sie diese Hürde nehmen, finden sie weder kommunikative Resonanz, noch soziale oder rechtliche Unterstützung. Man glaubt ihnen nicht, sie werden ausgelacht, in ihrem sozialen Umfeld, bei Experten beiderlei Geschlechts und vor Gericht, weil dort die Vorstellung verbreitet ist, häusliche Gewalt sei männliche Gewalt. Verständnis finden männliche Opfer also nicht, im Gegenteil, sie werden verdächtigt, durch eigenes Verschulden Opfer geworden zu sein, „es verdient“ zu haben, wobei sie zwischen den Rollen des „Fieslings“ und des „Trottels“ zu wählen haben. Männer fürchten diese Art der sekundären Viktimisierung und den Verlust einer achtbaren männlichen Identität vor sich selbst und ihren Bezugspersonen.

3.    Streit um Zahlen ist immer ein Streit um Sachprobleme und Praxisprobleme

Meine Damen und Herren,

mein Bericht über den Stand der Forschung wäre unvollständig, wollte ich verschweigen, dass insbesondere gegen die von mir genannten Dunkelfeldstudien massive Bedenken vorgebracht worden sind. Das ist inso­fern nicht verwunderlich, als diese die em­pirische und moralische Grund­lage einer rein auf weibliche Opfer und männliche Täter fokussierten Gewaltschutzpolitik erschüttern. Die Kritik richtete sich dabei vorwiegend auf das eingesetzte Messinstrument, die CTS.[10]

Folie – CTS – wiederholen

Ältere Kritikpunkte, wonach Frauen aggressive Verhaltensweisen nur zu ihrer Verteidigung einsetzten, dies berücksichtige die CTS jedoch ebenso wenig wie das Ausmaß der hervorgerufenen Verletzungen, sind inzwischen ausgeräumt. Sie waren unbegründet.

Es gibt jedoch noch eine andere und viel tiefere Ebene der Kritik. Die CTS messe nur aggressive Akte, nicht aber Gewalt. Erst die subjektive Interpretation und Zuschreibung aggressiver Akte als Gewalt mache aus rein physikalischen und insoweit trivialen Vorkommnissen Gewalt. Diese Interpretation würden aber nur Frauen ihren Opfer-Erfahrungen geben und deshalb seien eigentlich nur Frauen taugliche Gewaltopfer[11]. Es ist sehr schnell zu sehen, dass sich dieses Argument gerade nicht eignet, die Befunde der CTS zu neutralisieren oder zu bagatellisieren. Denn selbst wenn Männer die entsprechenden „Vorfälle“ nicht als „Gewalt“ oder „Verbrechen“ bezeichnen und bewerten, so heißt das nicht, dass a) Männer diese Vorfälle überhaupt nicht interpretieren und b) dass sie diese Vorfälle nicht gleichwohl als massive Verletzungen ihrer körperlichen und seelischen Integrität fühlen.

Hinzu kommt, dass bestimmte Phänomene der Machtausübung, also etwa die in dem eingangs zitierten Dokument in der Definition miterfasste  „psychische“ oder „strukturelle“ Gewalt, zwar dem Messinstrument der CTS zweifellos entgehen, keineswegs aber eindeutig zu Lasten von Frauen verteilt sind. Niemand wird Frauen die Fähigkeit absprechen, Essen, Kommunikation oder Sexualität zu verknappen, Kontakte zu unterbinden, den Ruf des Partners zu beschädigen, ihn im Innersten seiner Identität zu treffen, zu demütigen, herabzusetzen, die Kinder zu entfremden. Gerade Frauen und nur ihnen stehen schließlich die Drohungen mit der Polizei und den Gerichten zur Verfügung und damit Waffen, die ins Zentrum der sozialen und materiellen Existenz zielen, ohne dass irgendjemand ein Härchen gekrümmt wird. Systematische erfahrungswissenschaftliche Untersuchungen dieser Phänomene sind allerdings nicht bekannt[12].

Das methodische Problem, dass wir wenig über die Art und Weise wissen, in der Männer ihre Opfer-Erfahrungen verarbeiten[13] oder wie sie mit den besonderen Szenarien psychischer oder struktureller Gewalt ihrer Partnerinnen umgehen, ist ein Teil des sozialen Problems selbst. Denn für Männer fehlen nicht nur die institutionellen Hilfseinrichtungen, sondern schon die sprachlichen Rückversicherungen in einem öffentlichen Diskurs, in dem man seine Erfahrungen sozial verankern und damit auch für sich selbst festhalten, benennen, verstehen und verarbeiten kann. Männer finden keinen Resonanzboden, innerhalb dessen ihr Leid in Sprache und Kommunikation transferiert werden könnte.

In einer etwas gröberen Variante der Bagatellisierung männlicher Opfererfahrungen wird noch behauptet, dass die schweren und chronischen Misshandlungen von Frauen, die in Frauenhäuser gehen müssen, überhaupt in einer völlig anderen Kategorie einzuordnen seien. Die CTS messe ein wenig temperamentvollere Partnerkonflikte vorübergehender und harmloser Natur, wie sie in den sprichwörtlich besten Familien gelegentlich vorkommen. Nur die schwere und chronische Misshandlung von Frauen sei jedoch häusliche Gewalt und ein ernstes soziales Problem.[14]

Auch diesem Argument vermag ich nicht zu folgen. Was die CTS am oberen Rand misst, ist a) alles andere als harmlos und b) haben einige Untersuchungen durchaus auch die Häufigkeit schwerer physischer Aggressionen untersucht. Vor allem aber kann c) aus dem Umstand, dass es keine Frauenhaus-Untersuchungen für Männer gibt, nicht geschlossen werden, es gebe keine Männer mit vergleich­bar langen und schlimmen Martyrien. Es mag sein, dass die CTS am ganz oberen Rand in ihrer Aussagekraft schwächer wird. Aber warum soll das nur für weibliche Opfer gelten? Die ausweglosen Bedrohungsszenarien mit der materiellen und sozialen Existenzvernichtung als Damoklesschwert habe ich bereits skizziert und es dürfte schwer fallen, einen Begriff von psychischer und struktureller Gewalt zu finden, dem diese Phänomene nicht unterfallen – von denen im Übrigen in der Väterbewegung massenhaft berichtet wird.

Umgekehrt ist freilich zu sagen, dass eine einmalige Viktimisierung im Bereich der schweren Formen der CTS ohne weiteres ausreicht, um in ein Frauenhaus aufgenommen zu werden. Wie viele Bewohnerinnen von Frauenhäusern „mehr“ Erleiden, als was nach der CTS zwischen Frauen und Männern zweifelsfrei und unbestritten gleich verteilt ist, wissen wir gar nicht, so dass die Konstruktion einer Zweiklassengesellschaft von Opfern von beiden Seiten aus in Frage zu stellen ist.

Und noch ein letzter Punkt in Sachen Beweislast und Aussagekraft der CTS mag erwähnt sein. Es kann nämlich, wenn überhaupt, nur mit den CTS-Untersuchungen gelingen, die Prävalenz von „Gewalt“ einigermaßen zuverlässig zu schätzen, weil diese Skala eben auch verbale und leichte physische Aggressionen misst, die natürlich um ein vielfaches häufiger vorkommen als die schweren physischen Aggressionen. Wenn nun allerdings in Verlautbarungen mit den bekannten großen Zahlen hantiert wird, müsste man ehrlicherweise zugeben, dass gerade diese alltäglichen und massenhaften Aggressionen am unteren Rand der CTS a) zweifelsfrei und von niemand bestritten zwischen den Geschlechtern gleich verteilt sind und dass b) gerade feministische Forscherinnen und Forscher bei ihrer Kritik an der CTS nicht müde werden, zu betonen, dass sie trivial sind, nichts besagen und gerade nicht gemeint sind, wenn man von häuslicher Gewalt spricht. So ist der „Krach in besten Familien“ zwar trivial genug, um Männern den Opferstatus abzusprechen, andererseits aber anscheinend schlimm genug, um apokalyptische Bedrohungsszenarien von Frauen aufzubauen. Dies ist ein besonders gutes Beispiel für einen unverantwortlichen Umgang mit sozialwissenschaftlichen Befunden, oder, wem das besser gefällt, ein besonders krasser Fall von Bigotterie.

Folie – Männliche Opferraten – wiederholen

Wie man es auch drehen und wenden mag und welche der seriösen Quellen man auch nehmen mag: das eingangs erwähnte Zahlen-Arrangement lässt sich so nicht halten. Zwar finde ich selbst die Einwände gegen die CTS keineswegs durchschlagend. Aber darauf kommt es letztlich gar nicht an. Denn selbst renommierte feministische Forscherinnen[15], die den Forschungsstand anders interpretieren und statt der CTS-Studien vor allem die Untersuchung von Tjaden & Thoenness[16] favorisieren, äußern sich zum Forschungsstand wesentlich differenzierter und moderater, als es in der politischen Begleitmusik regelmäßig tönt. Sie erkennen dem Grunde nach an, dass man die männlichen Opfer vergessen hat und dass diese genauso Schutz, Hilfe und Mitgefühl verdienen wie weibliche Opfer.[17] Und selbst wenn man die Hellfeld-Zahlen aus den polizeilichen Interventionsprojekten zugrunde legt, sieht man, dass Männer in einem relevanten Ausmaß Opfer häuslicher Gewalt werden und dass ein völliges institutionelles Ignorieren dieses Phänomens weder empirisch noch moralisch zu rechtfertigen ist. Ob man von 50% oder von 20% ausgeht, ist für die praktisch anstehenden Fragen dann weniger von Belang.

4.    Rückkoppelungsschleifen zwischen Zahlen und Realität

Meine Damen und Herren,

zum besseren Verständnis der Zahlen möchte ich diese auch noch kurz in einen größeren kriminologischen Zusammenhang stellen, denn dann fangen sie noch auf eine andere Weise zu sprechen an. Wie auch sonst im Bereich der Kriminalität sind nämlich bei der häuslichen Gewalt die abweichenden Handlungen der Individuen und die gesellschaftliche Reproduktion normativer Erwartungen in sich selbst verstärkenden Rückkoppelungsschleifen miteinander verbunden[18].

Folie – Selbstbewahrheitung des Mythos

Die angeblich gesicherten Zahlen von der ausschließlichen Betroffenheit von Frauen sind es, die von Experten, Medien und verschiedensten Multiplikatoren von Präventionsräten und Akademien bis hin zu Fußballvereinen politisch ausgeschlachtet werden. Durch sie vor allem findet das Thema Anschluss an archaische Emotionen von Wut, Empörung und Rache. Dazu kommen dann die geeigneten Bilder und Fälle. Tränen und blaue Augen, verstörte Kinder, männliche Verbrechervisagen, ritterliche Polizisten und betroffene Moderatorinnen setzen einen archaischen Mythos ins Bild, in dem Gut und Böse klar definiert und klar verteilt sind. Böse Männer schlagen und terrorisieren gute Frauen.

Ganz automatisch entsteht daraus politischer Druck und Handlungsbedarf, denn skandalöse Zustände müssen weg. Es müssen Gesetze gemacht oder verschärft werden, es müssen Interventionsprojekte initiiert, Aktionspläne formuliert und implementiert werden, es müssen die Curricula von Sozialberufen und die polizeilichen Dienstanweisungen entsprechend aufgerüstet werden, damit sich der Inhalt des Mythos auch wirklich in den Köpfen und Herzen derer festsetzen kann, die letztlich über die Alternativen von Achselzucken oder Ermittlung, Einstellung oder Anklage, Freispruch oder Verurteilung entscheiden. Sie müssen doch schließlich wissen, wo man das Böse suchen muss und wie es aussieht, um es seiner gerechten Strafe zuzuführen. Und entscheidend für die Effizienz dieses Mechanismus ist der Umstand, dass es sich nicht um Dinge handelt, bei denen man dieser oder jener Meinung sein kann, sondern dass tief in der psychischen Apparatur und in den Geschlechtsrollen verankerte Emotionen im Spiel sind.

So ist es dann am Ende kein Wunder, dass die männlichen Opfer teils schon vor sich selbst nicht wahrhaben können, Opfer von Frauengewalt geworden zu sein (innere Hürden), teils aber auch die fehlender kommunikative, soziale und rechtliche Resonanz antizipieren, die eine etwaige Äußerungen ihrer Opfer-Erfahrungen ins Leere laufen oder gar auf sie selbst zurückfallen ließe (äußere Hürden). Auf dem Weg ins Hellfeld werden sie an der einen oder anderen Stelle ausgefiltert, so dass wir erneut ein geschlechtspezifisch eindeutiges Hellfeld erhalten, und fertig ist das perpetuum mobile, in dem Zahlen und ein Mythos über Männer und Frauen sich gegenseitig antreiben.

5.    Kontraproduktive Effekte einer nur auf weibliche Opfer ausgerichteten Gewaltschutzpolitik

Die derzeitige Gewaltschutzpolitik ist nicht nur selektiv in dem Sinn, dass sie männliche Opfer und weibliche Täterinnen ausblendet, sondern sie ist in ihren Effekten auch dort, wo sie tatsächlich wirkt, in hohem Maß kontraproduktiv. Dies gilt vor allem, wenn man auf nachhaltige Effekte abstellt. Maßnahmen der Krisenintervention reichen hier mit Sicherheit nicht aus bzw. haben oft gerade diese kontraproduktiven Effekte, denn sie greifen mit großer Intensität und mit in der Regel destruktiven Folgen in ein kompliziertes psychosoziales Geschehen ein, das meist eine lange Vorgeschichte hat. Die letztlich in schweren Formen physischer Aggressionen oder bedrückenden Szenarien psychischer oder struktureller Gewalt eskalierende Problematik wurzelt in

·        psychischen Eigenschaften (etwa: niedriges Selbstwertgefühl, Kontrollbedürfnisse, „negative Emotionalität“[19]), in

·        Verhaltensmustern (etwa: destruktive Kommunikationsstile, gelernte Gewaltmuster) meist beider Beteiligter, in

·        situativen Belastungsfaktoren („life-events“, Alkohol) sowie im

·        Fehlen konstruktiver Bewältigungsstrategien,

die sich mit isolierten repressiven Maßnahmen wie Wohnungsverweisung oder Strafverfolgung nicht angehen lassen. An den problematischen Verhaltensmustern von Frauen und Männern lässt sich nachhaltig nur etwas verändern, wenn die gemeinsame „Geschichte“ einer konfliktreichen Beziehung auch gemeinsam bearbeitet wird. Dass dies in vielen Fällen nicht möglich sein wird, ist eine Sache, eine andere Sache die, ob man Strategien verfolgt, die dies systematisch verhindern.

Alle Bemühungen um Prävention und alle Formen „systemischer“ Therapie oder Mediation werden jedenfalls dann von vornherein im Keim erstickt oder ganz unmöglich, wenn eine einseitige Rollenverteilung zwischen einem bösen männlichen Täter und einem guten weiblichen Opfer bei den beteiligten „Experten“ von vornherein als ausgemacht gilt, und es von diesen nur noch als ihre Aufgabe angesehen wird, dies auch rechtlich und sozial verbindlich zu machen. Die existierenden Hilfs- und Beratungseinrichtungen weisen zwar in sich einen erheblichen Pluralismus nach Regionen und Interventionskonzepten auf, aber die offizielle „Linie“ der Politik in diesem Bereich ist nach wie vor ziemlich doktrinär und ideologisch einseitig auf die Ausgrenzung und Bestrafung von Männern gerichtet, während ein präventiver Bedarf bei Frauen in der Regel auch nicht von Ferne angedacht wird. Wieder spricht das eingangs zitierte Dokument eine eindeutige und verheerende Sprache.

Die Folgen sind absehbar. Gehen die beiden Partner neue Partnerschaften ein, wiederholen sich dieselben Mechanismen, weil die derzeitigen Maßnahmen des Gewaltschutzes nur Siegerinnen und Verlierer produzieren, aber keine in Lernprozessen gewachsenen Partner.

6.    Zusammenfassung und Folgerungen für das aktuelle Gesetzgebungsverfahren

Männer werden in weitaus größerem Umfang Opfer aggressiven Verhaltens ihrer Partnerinnen, als dies landläufig angenommen und auch in der Praxis der Gewaltschutzpolitik vorausgesetzt wird. Einerseits nehmen sie sich selbst gar nicht als Opfer wahr und schweigen aus Angst vor Stigmatisierungen und Bloßstellungen, andererseits gibt es aber auch keine angemessenen Hilfseinrichtungen. Expertinnen und Experten in sozialen Einrichtungen und in den Strafverfolgungsbehörden rechnen nicht mit männlichen Opfern und deshalb sehen sie auch keine oder machen sie sogar noch für ihr Schicksal selbst verantwortlich. So ergibt sich ein verhängnisvoller Kreislauf: Weil noch weniger Männer als Frauen den Weg in die Kommunikation, zu sozialen Einrichtungen und zur Justiz finden, weisen die Statistiken dieser Institutionen immer wieder fast nur weibliche Opfer auf, mit der Folge, dass erneut die Stereotypen fixiert werden, aufgrund derer männliche Opfer lieber schweigen, als sich der Gefahr einer „sekundären Viktimisierung“ auszusetzen.

Nicht angemessen berücksichtigt werden auch die älteren Menschen und vor allem die Kinder, die Opfer weiblicher „Gewalt“ werden. Sie wurden in diesem Vortrag aus Zeitgründen nicht eigens erwähnt, doch komplettieren die diesbezüglichen Befunde das Bild, dass insgesamt eine geschlechtsspezifisch einseitige Gewaltschutzpolitik vorherrscht, bei der männliche Opfer und weibliche Täterinnen systematisch ausgeblendet werden.[20] Der geschlechtsspezifische Blick, der nur Männer als Täter wahrnimmt, hat gerade für die Kinder verhängnisvolle Folgen, die von ihren Müttern misshandelt werden, denn weder sie noch ihre Väter haben gegen die diesbezügliche Voreingenommenheit der zuständigen Stellen nennenswerte Chancen, mit Ihrer Not Gehör zu finden. Jede Polizistin und jeder Polizist weiß im Übrigen, wie schwer es ist, eine Frau mit Kindern aus dem Verkehr zu ziehen, weil dies leicht einen Rattenschwanz von Jugendhilfe und Kinderschutz nach sich ziehen kann, für den man sich nicht gerüstet und zuständig fühlt. Im Zweifel den Mann mitzunehmen spart hingegen Begründungsaufwand und Ärger mit Vorgesetzten und Anwälten. In dieser Hinsicht ist es auch bemerkenswert, dass man sowohl beim deutschen Gewaltschutzgesetz als auch bei dem Aargauer und anderen Interventionsprojekten die misshandelten Kinder ganz bewusst außen vor gelassen hat, so dass zwar mit einem Maximum von Erregung und Betroffenheit von den Gräueln der „häuslichen“ Gewalt geredet wird und Maßnahmen der Abhilfe gefordert werden, dass in Wirklichkeit aber nur Frauen als Opfer gemeint sind, Kinder und andere Personen, die ganz genau so im „Haus“ wohnen, aber gerade nicht.

Angesichts all dieser Umstände rücken nun der Entwurf des § 31 und hier vor allem der Abs. 2 des neuen Polizeigesetzes in ein ganz anderes Licht. Man wird nicht sagen können, dass die Formulierungen des Entwurfs Männer diskriminieren. Nein, die Sprache ist geschlechtsneutral und insofern nicht zu beanstanden. Wie bei allen vergleichbaren gesetzlichen Regelungen steckt der Teufel jedoch in der Anwendung der Vorschrift. Hier geht es vor allem um den Rechtsschutz des Beschuldigten und um Missbrauchsmöglichkeiten.

Mit dem sehr allgemeinen und unbestimmten Begriff der „Drohung“ ist eine wachsweiche Voraussetzung für den polizeilichen Zugriff formuliert, die vor allem deshalb Bedenken hervorrufen muss, weil ja in den politischen Forderungen, wir hatten es gesehen, mit psychischer und struktureller Gewalt auch Phänomene erfasst werden sollen, die sich der objektiven Feststellung weitgehend entziehen. Außerdem fehlt es an einer ausdrücklichen Feststellung, dass der Beschuldigte angehört wird, bevor eine so drastische Maßnahme wie eine Wohnungsverweisung für 20 Tage und ggf. auch im weiteren Verlauf ohne viel Federlesens Polizeigewahrsam nach § 36 erfolgen kann.

Natürlich wird die Praxis in hohem Maß davon abhängen, ob die vor Ort agierenden Polizeibeamtinnen und –beamten mit Augenmaß und Wirklichkeitssinn vorgehen werden. Davon ist grundsätzlich auszugehen. Es gibt keinen Grund, die Polizei unter einen männerfeindlichen Generalverdacht zu stellen. Aber nach den Erfahrungen aus der Bundesrepublik Deutschland muss ich doch sagen, dass die Polizei teils unter einem erheblichen politischen Druck steht, gegen Männergewalt so rigoros vorzugehen, wie dies nur irgendwie möglich ist, teils aber auch in vorauseilendem Gehorsam und aus falsch verstandener Ritterlichkeit von sich aus Gefahr läuft, das richtige und sonst im Polizeirecht übliche Maß zu verlieren, wenn es tatsächlich oder auch nur angeblich um Gewalt gegen Frauen geht. Auch die Polizei steht im Banne des Mythos von den bösen Männern und den guten Frauen. Jedenfalls vermeidet sie schon aus Imagegründen alles, was auch nur von Ferne den Anschein einer heimlichen Komplizenschaft bezüglich Gewalt gegen Frauen begründen könnte und ist dadurch selbst Gefangene jeder noch so absurden Forderung im Kampf gegen Männergewalt, wenn sie erst einmal in der Welt ist. So muss es doch bedenklich stimmen, dass das Innenministerium Baden/Württem­berg den Präventionspreis des Jahres 2001 für die Kommune ausgelobt hat, die bei einem landesweiten Projekt der kommunalen Prävention die meisten „roten Karten“ (sprich: Platzverweise) gegen gewalttätige Männer vorzuweisen hatte. Mit der derzeitigen Formulierung des § 31 Abs. 2 könnte der Kanton Aargau künftig bei ähnlichen Wettbewerben eine gute Rolle spielen.

Im Übrigen sind natürlich die 20 Tage des Abs. 3 auch eine Frist, die sich nicht aus sachlichen Notwendigkeiten, sondern nur aus der Langsamkeit der Gerichte ergeben, die über weitere Schutzmaßnahmen beschließen sollen. So aber wird aus einer Maßnahme der Gefahrenabwehr und Krisenintervention auf kaltem Weg eine echte Sanktion, eine Art „Verdachtsstrafe“, deren Voraussetzungen aber, wie gesagt, völlig wachsweich sind und deren Feststellung rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügt, insbesondere auch im Hinblick auf die jederzeit leicht mögliche Folge des Polizeigewahrsams nach § 36 zur Durchsetzung der Maßnahme.

Die zweite Gefahr, die Missbrauchsmöglichkeiten, ergeben sich aus der ersten. Ein Gutachter hat seinerzeit im Anhörungsverfahren vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages das Gewaltschutzgesetz als eine „Erstschlagswaffe“ bezeichnet. Eine treffendere Formulierung kann man sich gar nicht vorstellen und sie gilt auch für die verschärften Vorschriften über Platzverweise. Ist erst einmal ein Platzverweis ausgesprochen, so wird dies, selbst wenn sich die Vorwürfe in späteren Verfahren als haltlos herausstellen sollten und selbst wenn keine weiteren Schutzanordnungen durch die Gerichte ergehen, eine indizielle Wirkung für alle familiengerichtlichen und zivilgerichtlichen Verfahren haben, die eventuell schon anhängig sind oder im Raume stehen. Fragen des Sorge- und Umgangsrechts, Fragen des Unterhalts und der Verfügung über die Wohnung, alle diese existentiell entscheidenden Fragen werden durch einen Platzverweis und/oder eine allfällige Strafanzeige in eine „Aura“ gerückt, bei der wiederum die dort vorhanden unbestimmten Rechtsbegriffe – wie vor allem der des „Kindeswohls“ – so ausgelegt werden, dass für den beschuldigten Mann keine Chance mehr besteht, zu seinem Recht zu kommen.

Man kennt diese indizielle Fernwirkung von Erstschlagswaffen auch jetzt schon von simplen Anzeigen wegen Körperverletzung, die immer sehr ernst genommen werden, wenn eine Frau sie gegen einen Mann erstattet, mit der Folge beispielsweise, dass die Kinder erst einmal bei der Mutter sind, und selbst wenn nach langer Zeit das Verfahren eingestellt wird, sind durch die lange Abwesenheit vom Vater Fakten geschaffen, die die Familiengerichte dann sinngemäß weiter verwerten.

So, wie der § 31 Abs. 2 im Entwurf formuliert ist, kann er geradezu als eine Einladung angesehen werden, sich höchst bequem einer Erstschlagswaffe zu bedienen. Wer wollte entscheiden, ob eine Frau mit psychischer oder struktureller Gewalt bedroht wird, wenn sie dies unter Tränen und zu Protokoll gibt, denn einen „Beweis“, etwa in Form eines ärztlichen Attests, braucht sie ja gerade nicht. Die Folgen der psychischen und strukturellen Gewalt sieht man nicht. Aus feministischer Sicht lebt ohnehin jede Frau unter den Bedingungen des Patriarchats im Zustande struktureller Gewalt. Und im Zweifel gibt es natürlich auch Ärzte, die alles bescheinigen, was der Patient wünscht. Im Übrigen ist auch zu bedenken, dass bei psychischer und struktureller Gewalt nicht in gleicher Weise unmittelbar „Gefahr in Verzug“ ist wie bei körperlicher Gewalt – etwa von einem randalierenden und mit einer Waffe hantierenden Betrunkenen -, d. h. es ist in solchen Fällen weit eher verhältnismäßig und zumutbar, eine gerichtliche Prüfung im Eilverfahren und eine entsprechende gerichtliche Anordnung abzuwarten.

Aus diesen Gründen scheint es sehr fraglich, ob eine Vorschrift wie der § 31 Abs. 2 nicht insgesamt mehr schadet als nützt. Für Krisenintervention ist der Absatz 1 vollkommen ausreichend, vor allem wenn er im Lichte einer zunehmenden Sensibilisierung der Polizei für das öffentliche Interesse an häuslicher Gewalt ausgelegt wird. Die Wegweisung und Fernhaltung ist hier sachgerecht und ausreichend an die ernsthafte und unmittelbare Gefährdung anderer Personen geknüpft und dies gilt selbstverständlich auch in den Fällen häuslicher Gewalt. Sollte eine besondere Vorschrift wie der Absatz 2 überhaupt für notwendig erachtet werden, so ist es jedenfalls dringend erforderlich, die Vorschrift in folgender Weise zu ändern:[21]

·        der Gewaltbegriff in der Vorschrift ist klar und eindeutig einzugrenzen auf körperliche Gewalt

·        eine einfache Drohung darf nicht ausreichen, es muss vielmehr im Sinne des § 31 Abs. 1 eine „ernsthafte und unmittelbare“ Bedrohung mit körperlicher Gewalt glaubhaft gemacht werden, in der Regel durch Spuren oder eindeutige Beweise vorangegangener Fälle

·        dem Beschuldigten ist ausdrücklich rechtliches Gehör zu garantieren

·        die Generalermächtigung „…und die zur Durchsetzung des Verbotes erforderlichen Maßnahmen treffen“ ist ersatzlos zu streichen

·        die Frist von 20 Tagen in Abs. 3 ist zu reduzieren auf 24 Stunden

Mittel- und langfristig betrachtet ist es natürlich erforderlich, die strukturelle Einseitigkeit zu Lasten männlicher Opfer sowohl in den Institutionen der Strafverfolgung und den Hilfseinrichtungen abzubauen und gleichzeitig auch Bewusstseinsprozesse in Gang zu bringen, die alle diejenigen, die in Prävention und Repression mit häuslicher Gewalt zu tun haben, in der Richtung sensibilisieren, dass häusliche Gewalt kein männliches, sonders ein menschliches Phänomen ist und dass Opfer häuslicher Gewalt nicht nur Frauen und Männer, sondern vor allem auch Kinder werden. Aber das wird nicht einfach sein.


 


[1] Vgl. hierzu Michael Bock: Gutachten zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung. Angefertigt anläßlich der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am Mittwoch, dem 20. Juni 2001

[2] Während die deutsche Bundesregierung davon kaum Notiz genommen hat (vgl. das in FN 1 zitierte Gutachten S. 5), ist in Österreich ein amtlicher Forschungsbericht erschienen, in dem der internationale Forschungsstand berücksichtigt worden ist. Vgl. Cizek, B. u. a.: Gewalt gegen Männer. Teil III des Österreichischen Gewaltschutzberichts von 1998, herausgegeben vom Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz, Wien 2002

[3] Vgl. statt vieler anderer Belege Schweikert, B.: Gewalt ist kein Schicksal. Ausgangsbedingungen, Praxis und Möglichkeiten einer rechtlichen Intervention bei häuslicher Gewalt gegen Frauen unter besonderer Berücksichtigung von polizei- und zivilrechtlichen Befugnissen; Baden-Baden: Nomos 2000

[4] Die Forschung geht weiter. Eine zusätzliche Bestätigung der bisherigen Befunde ergibt sich aus Barbara Krahé: Aggression von Männern und Frauen in Partnerschaften: Unterschiede und Parallelen, in: Siegfried Lamnek/Manuela Boatcă (Hrsg.): Geschlecht – Gewalt – Gesellschaft, Opladen 2003, S. 369-383. Außerdem werden sowohl differenziertere Erhebungsinstrumente entwickelt (Fals-Stewart, W./Birchler, Gary R../Kelley, L.: The Timeline Followback Spousal Violence Interview to Assess Physical Aggression Between Intimate Partners: Reliability an Validity, in: Journal of Familiy Violence 2003, S. 131-141) als auch verschiedene Typen von Partnergewalt unterschieden (Ridley, Carl A./Feldman, Clyde M.: Female Domestic Violence Toward Male Partners: Exploring Conflict Responses and Outcomes, in: Journal of Familiy Violence 2003, S. 157-169).

[5] Jürgen Gemünden: Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Intimpartnerschaften. Ein Vergleich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auf der Basis einer kritischen Auswertung empirischer Untersuchungen; Marburg 1996; Straus, Murray A.: The controversy over domestic violence. A methodological, theoretical, and sociology of science analysis; in: Arriaga X. B. & Oskamp S. (Eds.): Violence in intimate relationsships, Thousand Oaks, CA: Sage 1999, S. 17-44; Tjaden, Patricia; Thoennes, Nancy: Full Report of the Prevalence, Incidence and Consequences of Violence Against Women, National Institute of Justice, US Department of Justice 2000; Lenz, H.-J./Meier, C. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Dokumentation einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing vom 1. bis 3. März 2002 in Heilsbronn (Tutzinger Materialien Nr. 88), Tutzing 2002; Sticher-Gil, B.: Gewalt gegen Männer im häuslichen Bereich – ein vernachlässigtes Problem!? Beiträge aus dem Fachbereich 3 der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege (Polizeivollzugsdienst), Heft 35, Berlin 2003; verschiedene Beiträge in Siegfried Lamnek/Manuela Boatcă (Hrsg.): Geschlecht – Gewalt – Gesellschaft, Opladen 2003

[6] Archer, John: Sex differences in aggression between heterosexual partners: A meta-analytic review; Psychological Bulletin 2000, S. 651-680

[7] Archer (wie FN 6), Tabellen 3 und 6 auf S. 657 und 660

[8] Archer (wie FN 6), Tabellen 4, 5 und 7 auf S. 658, 659 und 661

[9] Nachweise bei Archer (wie FN 6), S. 653f.

[10] Ausführliche, auch kontroverse Diskussion dieser Fragen und zahlreiche weitere Nachweise in der in FN 5 angegebenen Literatur.

[11] Hagemann-White, C.: European Research on the Prevalence of Violence Against Women, in: Violence Against Women 2001, S. 732-759

[12] Vgl. allerdings die qualitative Studie von Schenk, S.: Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Partnerschaften – Deutungs- und Verarbeitungsmuster; Pädagogische Diplomarbeit an der Universität Münster 2002. Auf die Resultate des vom einschlägigen deutschen Ministerium in Auftrag gegebenen Studie über Gewalt gegen Männer wartet die Fachwelt gespannt.

[13] Hier ist vor allem auf die Äußerungen therapeutisch arbeitender Autoren hinzuweisen, etwa in dem Band von Lenz, H.-J./Meier, C. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Dokumentation einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing vom 1. bis 3. März 2002 in Heilsbronn (Tutzinger Materialien Nr. 88), Tutzing 2002. Vgl. aber auch Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Mann oder Opfer? Dokumentation einer Fachtagung am 12./13. Oktober 2001, Berlin 2002.

[14] Kavemann, Barbara: Gewalt gegen Männer – ein vernachlässigtes Problem? In: Sticher-Gil (wie FN 5) S. 42ff.

[15] Vgl. FN 14

[16] Vgl. FN 5

[17] Ähnlich wie Barbara Kavemann (FN ) argumentieren hierbei auch Gloor, Daniela und Meier, Hanna: Gewaltbetroffene Männer – wissenschaftliche und gesellschaftlich-politische Einblicke in eine Debatte, in: Praxis des Familienrechts (FamPra.ch) Heft 3, 2003, S. 526-547. Was die politische Konsequenzen betrifft, bleibt es freilich bei der Forderung, das Monopol für finanzielle und sonstige Ünterstützung bei den Frauen zu belassen. Wenn überhaupt, so seien für Männer zusätzliche Mittel nötig, an den Einrichtungen für Frauen dürfe aber keinesfalls etwas abgehen. Daran ist richtig, dass es nicht weiter führt, das Leid von Opfern gegeneinander aufzurechnen. Dies war auch nie meine Absicht, obwohl die beiden Autorinnen mich zu Unrecht in diese frauenfeindliche Ecke drängen wollen. Umgekehrt bleibt es natürlich ein moralisch bedenklicher Standpunkt, wenn man männlichen Opfern Respekt und Mitgefühl bekundet, dann aber sinngemäß zu ihnen sagt, ihr bekommt nur Hilfe, wenn neue Mittel fließen, aber geteilt wird nicht (S. 546).

[18] H. Hess, S. Scheerer: Was ist Kriminalität? Skizze einer konstruktivistischen Kriminalitätstheorie, Kriminologisches Journal 1997, S. 83-155. Die Anwendung gerade dieser Theorie auf das Gebiet der häuslichen Gewalt bringt die Etikettierungsansätze wieder neu ins Spiel, die möglicherweise im Bereich geschlechts­spezifischer Diskriminierungen ein viel größeres Erklärungspotenzial besitzen als im Bereich von schicht- oder klassenspezifischen Diskriminierungen, bezüglich derer sie zwar eingehend aber doch mit eher zweifelhaftem Erfolg empirisch überprüft worden sind (vgl. hierzu Michael Bock: „Natürlich nehmen wir den Mann mit“. Über Faktenresistenz und Immunisierungsstrategien bei häuslicher Gewalt, in: Siegfried Lamnek, Manuela Boatca (Hrsg.): Geschlecht – Gewalt – Gesellschaft, Opladen 2003, S. 179-194).

[19] Dieses Konstrukt lag nach der bekannten neuseeländischen Kohortenuntersuchung sowohl bei Männern und Frauen als auch bei Tätern und Opfern von Partnergewalt gleichermaßen gehäuft vor, vgl. Moffitt, Terrie E./Robins, Richard W./Caspi, A.: A Couples Analysis of Partner Abuse with Implications for Abuse-Prevention Policy, in: Criminology and Public Policy 2001, S. 5-36

[20] Vgl. hierzu jetzt Müller, Joachim: Kinder, Frauen, Männer – Gewaltschutz ohne Tabus, in: Siegfried Lamnek/Manuela Boatcă (Hrsg.): Geschlecht – Gewalt – Gesellschaft, Opladen 2003, S. 507-532

[21] Eine Neufassung von § 31 Abs. 2 könnte also allenfalls, sofern er nicht ganz gestrichen wird, lauten: „Sie kann insbesondere Personen, die der wiederholten Anwendung körperlicher Gewalt gegen Mitglieder des gemeinsamen Haushalts dringend verdächtigt sind oder ernsthaft und unmittelbar drohen, körperliche Gewalt erneut anzuwenden, vorübergehend aus den gemeinsamen bewohnten Räumlichkeiten wegweisen oder fernhalten. Die beschuldigte Person ist zu hören.“