© Aargauer Zeitung vom 12.2.2009 / Milena Moser

Über die Rolle der Männer in der Kindererziehung

Es fehlt etwas. Es fehlt der Vater. Nicht an meinem Tisch (siehe weiter unten), sondern in der öffentlichen Diskussion.

Beispiel Harmos, frühere Einschulung. Kindertränen, Kinderlachen. Im «Tages-Anzeiger» kamen je zwei Mütter beider Lager zu Wort. Es ging um die Rolle der Mutter und um ihre Bedeutung in der Entwicklung des Kindes, es ging um die Belastbarkeit der Mutter und ihre Bedürfnisse. Wer nichts zu sagen hatte: der Vater. Kein Thema. Seine Rolle in der Erziehung, seine Bedeutung für die Entwicklung des Kindes, oder schlicht seine Meinung. Das irritiert mich › wo sind die Väter? Gibt es keine mehr? Oder sind sie für Fragen der Kindererziehung nicht mehr zuständig? Es sei denn als Politiker?  

Eine mögliche Erklärung ist offenbar im Stall zu finden, wo sich schliesslich auch nicht der Stier ums Kalb kümmert, sondern die Kuh. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Kühe, wie jedes Stadtkind, das aufs Land gezogen ist. Aber ich habe noch nie versucht, wie eine zu leben. Auch wenn man mit etwas Boshaftigkeit behaupten könne, die Oberfläche meines Schreibtisches gleiche oft einem Misthaufen. Nun denn, ich habe mich informiert. Die Kühe, diese sanftäugigen Wesen, sind Herdentiere. Sie ziehen ihre Kälber gemeinsam auf, in einer so genannten Kindergartenherde, die von abwechslungsweise am Rand stehenden einzelnen Kühen im Auge behalten wird. Fremdbetreuung im Frühkindesalter also, und in einer matriarchalen Wohnstruktur. Radikalfeministinnen hatten ähnliche Visionen vom harmonischen, weil testoste- ronfreien Zusammenleben von Frauen und Kindern, von einer Gesellschaft, zu der Männer nur sporadisch zu Zeugungszwecken eingeladen wurden, ansonsten aber im Alltag keine aktive Rolle einnahmen. Eine überraschend progressive Empfehlung also, aber keine wirklich lebbare.

Denn die vaterlose Gesellschaft funktioniert nicht. Da sind sich die Experten einig. Sie wird für die meisten Probleme «der heutigen Jugend» verantwortlich gemacht. Alexander Mitscherlich hat vor mehr als 45 Jahren vor dieser Entwicklung gewarnt, Matthias Matussek hat vor zehn Jahren damit polarisiert, Allan Guggenbühl kommt auch heute bei seiner Arbeit mit so genannten Problemkindern immer wieder darauf zurück. Kinder brauchen Väter. Dieser Tatsache soll nun das nicht unumstrittene gemeinsame Sorgerecht gerecht werden. Paare fallen auseinander, Familien bleiben. Eltern trennen sich, aber nicht von ihren Kindern. Das ist der Idealfall. Ob er sich durchsetzen lässt? Ob man es wenigstens versuchen sollte?

Die Realität ausserhalb des Kuhstalles ist komplex: In der Schweiz werden die Hälfte aller Ehen geschieden. Jedes 6. Elternpaar ist nicht verheiratet, und auch das schützt oft vor Trennung nicht. Eltern trennen sich und verlieben sich neu, manchmal ausserhalb des eigenen Kulturkreises oder innerhalb des eigenen Geschlechts. Familienstrukturen verändern sich, neue Formen bilden sich. Doch die Form ist es nicht, die eine Familie definiert, sondern der Inhalt. Kinder brauchen Menschen beiderlei Geschlechts, als Vorbilder, als Reibungsflächen, als Identifikationsfiguren. Sie brauchen ihren Schutz und ihre Liebe. Unabhängig davon, was die einzelnen Erwachsenen miteinander verbindet oder sie trennt. Die Mutter ist keine heilige Kuh. Es ist vielleicht mein Glück, dass ich mir meiner Unzulänglichkeiten in dieser Hinsicht immer bewusst war, vielleicht konnte ich deshalb trotz allen persönlichen (und durchaus gegenseitigen) Verletzungen mit dem Vater meines älteren Sohnes eine Art Familie bleiben.

Vor wenigen Tagen haben wir seinen einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Mit zwei Vätern und drei «Sorten» Grosseltern. So wie wir jedes Familienfest, jede Weihnachten gefeiert haben: zusammen. Als Familie. Nicht, dass das immer einfach war. Und nicht, dass ich mir etwas darauf einbilde. Es sind die Kinder, die den Weg durch die neuen Familienformen weisen. Wenn wir ihrem Beispiel folgen könnten, wäre alles ganz einfach. Für die Kinder gehört der Vater des Bruders ganz selbstverständlich zur Familie. Für sie ist auch klar, dass die neue Freundin des Vaters zur Geburtstagsfeier, zum Schultheater eingeladen wird. Die gehört zum Papa, also gehört sie zu uns. Und ihre Kinder auch. Und der Vater der Kinder der neuen Freundin des Vaters auch, und so weiter. Das, wie gesagt, ist nicht immer einfach. Man schluckt schon mal leer, wenn die Kinder mit teurem Unfug nach Hause kommen, den man sich selber nicht leisten kann. Wenn sie von fremden Frauen schwärmen, die ihnen übers Wochenende die Haare geschnitten haben. Die ganzen schönen Kinderlocken, weg. Aber nur weil esweh tut, ist es noch nicht falsch. Die Berner Kinder- und Jugendpsychologin Liselotte Staub bringt es in ihrer trockenen Art auf den Punkt: Dass sich geschiedene oder getrennte Väter plötzlich für ihre Kinder interessieren, in die Erziehung einmischen, die sie so lange den Müttern überlassen haben, am Wochenende den coolen Daddy machen, all das mag für Mütter frustrierend sein › «aber für die Kinder ist es super».

Und die Bedürfnisse der Kinder über die eigenen zu stellen, ist eine Grundbedingung der Elternschaft. Wie gesagt, es ist nicht die Form, die die Familie bestimmt, sondern ihr Inhalt, die Liebe.