Brigitte – die deutsche Frauenzeitschrift hat vor ein paar Tagen einen spannenden Artikel veröffentlicht, der mit den folgenden Worten beginnt:

Wir sind immer schnell dabei, Männer zu kritisieren, die sich nach einer Scheidung nicht um ihre Kinder kümmern. Aber offen gesagt machen manchmal auch Mütter gar keine gute Figur beim Streit ums Sorgerecht und Kind.

Maren lacht, plappert drauflos. Nach so vielen Wochenenden, an denen das Kind nicht kommen durfte. Endlich ist sie nun da, für acht gemeinsame Stunden mit ihrem Papa. Sie gehen in die Stadt, essen Eis, spielen bei einer Tombola mit. Maren gewinnt ein Schmink-Set, strahlt. Später, beim Abschied, sagt sie: "Da schimpft die Mama bestimmt, wenn ich das von dir mitbringe." Die Übergabe findet auf einem Parkplatz statt. Die Kleine steigt aus dem Wagen des Vaters, läuft zum Auto der Mutter. Dreht sich um, winkt ein letztes Mal. "Ich sah noch, wie die Mutter das Schmink-Set gleich an der nächsten Ampel in den Papierkorb schmiss", erinnert sich Peter Witkowski. Es war das letzte Mal, dass er seine Tochter einen halben Tag lang gesehen hat. 21 Stunden in vier Jahren, hat er ausgerechnet, durfte sie bei ihm sein.

Im Jahr 2007 wurden in Deutschland über 187.000 Ehen geschieden, die Zahl der Trennungen wird deutlich höher geschätzt, rund 50.000 Kinder leiden darunter, dass sich ihre Eltern über die Umgangs- und Besuchsregelungen streiten. Bei einer Scheidung wird das Sorgerecht gewöhnlich auf beide Eltern verteilt, trotzdem sitzen Mütter bei der Frage, wie oft und wann der Vater sein Kind sehen darf, schon deshalb am längeren Hebel, weil in 80 Prozent der Fälle die Kinder in ihrem Haushalt leben. Unverheiratete Mütter können wählen, ob sie sich mit dem Vater ihres Kindes die Sorge teilen wollen. Viele wollen nicht, schon um nicht über die Beziehung hinaus mit dem Ex verbunden zu sein: Rund 54 Prozent der Mütter in Deutschland haben deshalb das alleinige Sorgerecht für ihre nicht ehelichen Kinder.

Umgekehrt sieht es anders aus: Bevor ein Vater das alleinige Sorgerecht bekommt, wandert das Kind eher ins Heim – statistisch gesehen. Um das Sorge- und Umgangsrecht wird in Deutschland häufig und heftig vor Gericht gestritten. Der eigentliche Kampf jedoch findet im Herzen statt. Das Ende einer Beziehung bedeutet Verletzung, Trauer, Wut und Kränkung. Auch wenn man nicht verlassen wurde, sondern verlassen hat. Man braucht Abstand – und zwingt ihn leider schon aus vermeintlichem Selbstschutz heraus manchmal auch seinem Kind auf.

Die Frontlinie verlegen manche Mütter ins Kinderzimmer, und sie verteidigen ihr Territorium mit allen Mitteln: "Zweimal", erzählt Harald Mauser (Name geändert) aus Bremen, "hatte sie sogar ein ärztliches Attest in der Hand: Der Kleine sei seelisch zerrissen, der Kontakt zum Vater sei erst mal einzustellen." Die Mutter hatte der Ärztin Lügengeschichten erzählt.

Oft wird Erzieherinnen, Lehrern und Ärztinnen Ungeheuerliches vom angeblichen Monstervater aufgetischt, der seine Kinder prügelt, schlecht ernährt oder gar missbraucht. "Andere Leute werden massiv eingelullt. Da heißt es: Ich habe alleiniges Sorgerecht, geben Sie das Kind auf keinen Fall dem Vater mit", berichtet die Würzburger Diplom-Psychologin Christiane Pohl.

Auch Kinder selbst werden häufig manipuliert: Manche Frauen nennen ihren Ex-Männern sogar bewusst falsche Zeiten, zu denen sie vor der Schule warten und das Kind abholen sollen. Der böse Papa kam eine Stunde zu spät? Auf den, soll der Nachwuchs kapieren, kann man sich nicht verlassen.

Was das Kind garantiert versteht: Mama will nicht, dass ich Papa lieb habe. Ein schlimmes Dilemma, aus dem Kinder häufig nur einen Ausweg sehen: Sie schlagen sich auf die Seite der Mutter. Zumindest, solange sie zusieht. "Manchmal hat mein Sohn bitterlich geweint, wenn ich ihn bei den Übergaben auf den Arm nahm", erinnert sich Harald Mauser. "Seine Mutter sagte dann: Siehst du, er will gar nicht zu dir. Aber kaum saß er bei mir im Auto, war er fröhlich und fragte voller Erwartung: Papa, was machen wir heute?"

Die Mutter sieht nur die Tränen, den Widerstand – und fühlt sich in ihrer Überzeugung, dass der Vater nur ein Störfaktor ist, noch bestätigt. Manchen Frauen gelingt es, die Kinder trotz festgelegter Umgangsregelung wochen- oder sogar monatelang von den Vätern fernzuhalten. Väter können mit Engelszungen reden, sich beim Jugendamt beschweren, das Gericht einschalten, auf das für Umgangsboykott im Gesetz durchaus vorgesehene Zwangsgeld pochen – es bleibt meistens bei einer Ermahnung. "Viele Familienrichter haben Angst, mit der Mutter automatisch auch das Kind zu bestrafen", glaubt Rainer Sonnenberger, Bundesvorstand des Vereins "Väteraufbruch für Kinder". "Bei der Durchsetzung des Umgangs", klagt er, "ist man gekniffen. Mit oder ohne Sorgerecht.

Die Zeit arbeitet gegen die Väter: Wertvolle Wochen und Monate vergehen, in denen sie ihre Kinder nicht sehen können, sich voneinander entfernen, entfremden, entwöhnen. Neulich fuhr Ralf G. Fuchs auf gut Glück 320 Kilometer zu einem Sportwettkampf, bei dem seine inzwischen 12-jährige Tochter antrat. "Guten Tag", sagte das Mädchen. Es waren die ersten Worte, die er seit vier Jahren von ihr gehört hatte. "Es ist furchtbar, wenn man sich vorstellt, wie viel man dem eigenen Kind gern gegeben hätte, und man durfte einfach nicht", sagt Fuchs.

Als Tobias Knoch, 41, seinen knapp zweijährigen Sohn zum Besuchstag abholte, deutete der Kleine auf die Mutter-Sohn-Fotos an der Wand in seinem Kinderzimmer und dann auf seinen Vater. "Ja", antwortete Tobias, "ich bring dir auch ein Papa-Foto mit." Seine Ex jedoch erlaubte partout kein Foto des Vaters im Zimmer des Sohnes.

"Ich hasse Papa und will, dass er tot ist", sagte die neunjährige Tochter des Berliner Filmemachers Douglas Wolfsperger bei ihrem letzte Treffen. Das Kind lehnt das Elternteil, bei dem es nicht wohnt, plötzlich ab und erfindet Gründe für seinen Hass. "Parental Alienation Syndrome" (PAS) nennen es die Experten – das elterliche Entfremdungssyndrom. 90 Prozent der Kinder, deren Eltern um Umgang oder Sorgerecht streiten, leiden darunter. "Papa hat die Mama geschlagen", behauptete Peter Witkowskis Tochter plötzlich. Und dass er ihr "die Einschulung versaut habe", weil er ihren großen Tag mit der Videokamera einfangen wollte.

"PAS-Kinder leiden ihr Leben lang", warnt die Hamburger Soziologin Anneke Napp-Peters, die als erste Wissenschaftlerin Scheidungskinder in Deutschland auf PAS hin untersucht hat. "Sie haben meistens eine negative Selbsteinschätzung und sind unsicher. Folgen, die sich oft schon in der Pubertät zeigen, einem Lebensalter, in dem viele Dinge aufbrechen." Dreiviertel aller Kinder, die nach der Trennung der Eltern den Kontakt zu einem der Elternteile verloren und darunter litten, haben als Erwachsene große Probleme, ihr Leben in den Griff zu bekommen, fand Napp-Peters heraus.

Man muss leider feststellen: Im Sorgerechtsund Umgangsstreit verteilt Mutter von ihrem Sockel herunter Ohrfeigen, wo immer man ihr das Vollzeitrecht am eigenen Kind beschneiden will: "Mein Kind ist in meinem Bauch gewachsen, nur ich weiß, was gut für es ist", heißt es häufig in den Begründungen vor dem Jugendamt und dem Richter, wenn Väter ihr Umgangsrecht gegen den Willen der Mutter durchsetzen wollen.

Wer so argumentiert, hat den eigenen Vater häufig selbst nur in einer Nebenrolle erlebt: Viele dieser Frauen haben von ihren Müttern ein negatives Männerbild vermittelt bekommen und projizieren das eigene Vaterbild auf ihren Partner bzw. Ex-Partner", stellte die Würzburger Psychologin Pohl fest. Auf Väter kann man sich nicht verlassen, sie sind austauschbar. Peter Witkowskis ehemalige Frau begann erst die Tochter vom Vater fernzuhalten, als sie einen neuen Mann kennen lernte. "Die wollte", glaubt er, "einfach nur ein perfektes Familienglück, und als plötzlich ein anderer Mann da war, störte ich als Vater nur."

Jahrzehntelang forderten Frauen von Männern, sich bei der Erziehung mehr zu engagieren. Jetzt gibt es immer mehr dieser Väter, die zu Elternabenden gehen, Kindergeburtstage organisieren, Urlaub nehmen, um daheim das kranke Kind zu hüten. Immerhin fast zehn Prozent aller Väter melden inzwischen Elternzeit an, nachdem der Anteil jahrelang um fünf Prozent dümpelte. Umso trauriger ist es, wenn es Mütter gibt, die ihren Kindern mit ihrem Verhalten Schlimmes antun.

Vor Gericht löst sich das Problem nicht, der Rechtsweg braucht zu lange. "Oft besteht ein bis zwei Jahre kein Kontakt mehr zwischen einem Elternteil und dem Kind, obwohl es eine klare Regelung gibt. Die Gerichte wissen nicht, wie sie mit dem Umgangsboykott umgehen sollen, holen Sachverständige herbei, und bisweilen dauert so ein Verfahren durch alle Instanzen sieben bis acht Jahre", stellte der Familienrichter Jürgen Rudolph bereits vor Jahren fest.

Für seinen Amtsbereich Cochem einigte er sich deshalb mit seinen Kollegen, Anwälten und Jugendamtsmitarbeitern, zerstrittene Eltern innerhalb von zwei Wochen in die Mediation oder Beratung zu zwingen, noch bevor schmutzige Wäsche gewaschen wird. Oftmals werden die Eltern direkt vom Gerichtssaal zum Mediator geleitet – notfalls unter Androhung, gestellte Anträge sonst sofort zu verwerfen. Rudolphs Modellversuch machte bereits in München, Berlin und einigen anderen Orten Schule.

Er stand auch Pate bei der Gesetzesänderung, die ab September bundesweit greifen soll: Familiengerichte werden stärker auf Mediation und Beratung der scheidungswilligen Paare drängen. Der Bochumer Mediator Ingo Krampen: "Wichtig ist, wie es dem Kind am Ende geht. Und das kann man den Eltern am besten in der Mediation vermitteln, bei der es anders als im Gerichtsprozess am Ende nicht einen Gewinner und einen Verlierer gibt."

Douglas Wolfsperger hat einen Film über das Schicksal der Trennungsväter gemacht – er heißt "Der entsorgte Vater" (ab sofort in den Kinos). Den eigenen Kampf um seine Tochter hat er aufgegeben. Ihr zuliebe: "Ich habe gemerkt, wie furchtbar zerrissen sich das Kind fühlte. Das wollte ich ihm nicht länger antun." Einen Abschiedsbrief hat er dem Mädchen geschrieben. Er endet mit den Worten: "Ich werde dich immer lieben, du kannst immer zu mir kommen. Dein Papa Douglas."

Irgendwann fragen die Kinder nach ihrem Vater, das zeigt die Erfahrung. Sie wollen dringend wissen: Warum? Die Väter wissen, was sie sagen werden. Die Mütter hoffentlich auch.

Text: Silke Pfersdorf
Foto: Getty Images
Ein Artikel aus der BRIGITTE 13/09