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Aktuelle Zahlen belegen: Jedes fünfte Opfer von häuslicher Gewalt ist ein Mann. Die Delikte reichen von einfacher Körperverletzung bis hin zu Tötungsversuchen

Männer sind in Ehen und Beziehungen weitaus häufiger Opfer von gewalttätigen Frauen als bisher angenommen. Das Bundesamt für Statistik hat für das Jahr 2009 erstmals die Zahlen der kantonalen Polizeikorps erhalten und ausgewertet. Der Zeitung «Der Sonntag» liegen die Daten vor. Demnach ereigneten sich «im Rahmen von Beziehungen oder ehemaligen Partnerschaften» im vergangenen Jahr folgende Straftaten:

 

  • Vorsätzliche Tötung oder Tötungsversuch: 49 Fälle sind schweizweit registriert. 15 mal war ein Mann das Opfer – also bei fast jedem dritten Delikt.
  • Schwere Körperverletzung: 39 Angriffe sind in der Polizeistatistik erfasst. In 8 Fällen war ein Mann das Opfer. Die Männer stellen ein Fünftel der Opfer.
  • Einfache Körperverletzung: 1840 mal wurde in einer Beziehung zugeschlagen. 309 mal war ein Mann betroffen. Jedes sechste Opfer ist männlich.
  • Tätlichkeiten (zum Beispiel Ohrfeigen): In Beziehungen ereigneten sich insgesamt 3987 Übergriffe. 759 Geschädigte waren Männer. Jede fünfte Tätlichkeit wurde gegenüber einem Mann begangen.

Alles in allem belegt die Statistik zu den Beziehungsdelikten: schweizweit sind 20 Prozent der Opfer von Gewalt gegen Leib und Leben Männer. Und es könnte sogar noch mehr sein. «Die Polizeistatistik erfasst nur die offiziellen Fälle. Der tatsächliche Anteil, unter Berücksichtigung der Dunkelziffer, liegt weitaus höher», sagt Oliver Hunziker, Präsident des Vereins verantwortungsvoll erziehender Väter und Mütter (VeV).

Cortesi: «Frauen sind eher bereit tätlich zu werden»
Vergleichzahlen zu den Vorjahren gibt es nicht, aber gemäss «Sonntag» sind die Zahlen steigend. Bei der Zürcher Kantonspolizei registriert man eine Zunahme: «Wir stellen fest, dass die Gewaltbereitschaft der Frauen zugenommen hat. Frauen sind eher bereit, tätlich zu werden», sagt Pressechef Mario Cortesi. In ihrem Gewaltbericht kam die Berner Kommission für Gleichstellungsfragen zum Fazit: «Die gegenwärtige Situation männlicher Opfer ähnelt der von vergewaltigten und misshandelten Frauen vor dreissig Jahren. Sie mussten damals gegen Verleugnung der Problematik und gegen Ignoranz kämpfen».

Die Gründe der weiblichen Aggressivität sind wenig erforscht. «Die häuslichen Machtverhältnisse haben sich verschoben: Mann und Frau nähern sich einer Machtsymmetrie. Das macht Konflikte zunehmend prekär und schliesslich ausweglos, weil niemand sich verstanden fühlt», sagt Paartherapeut Klaus Heer. Der Mann komme sich heute im Beziehungsalltag oft mindestens so schwach vor wie seine Partnerin: «Frauen reagieren mehr und mehr gleich wie Männer: je hilfloser sie im Konfliktfall sind, umso mehr neigen sie zu physischer Gewalt.»

Seit einem Jahr gibt es jetzt zwei Anlaufstellen: in Erlenbach ZH das von einem Pfarrer initiierte Männerhaus und im Aargau das Väterhaus vom VeV. Die Nachfrage ist gross: Beide Häuser sind gut ausgelastet.