(c) 2010 Tagesanzeiger. Interview: Tina Fassbind

Ein Jahr nach der Eröffnung des ersten Väterhauses der Schweiz ist schon eine Expansion geplant. Leiter Oliver Hunziker sagt, weshalb Männer Unterschlupf suchen und mit welch krassen Fällen er zu tun hat.

«Die strukturelle Gewalt des Staates ist manchmal noch schlimmer als die häusliche Gewalt»: Oliver Hunziker, Leiter Väterhaus. (Bild: PD)

 

Das Väterhaus ZwüscheHalt

Unter dem Namen «ZwüscheHalt» betreibt der Verein Verantwortungsvoll erziehende Väter und Mütter VeV ein privat geführtes Haus für Väter und ihre Kinder. Diese finden dort Hilfe und Unterstützung in schwierigen Situationen von Trennung und Scheidung. Das erste Väterhaus der Schweiz wurde am 10. Dezember 2009, dem internationalen Tag der Menschenrechte, eröffnet. Es befindet sich in der Nähe von Aarau.

Links

Artikel zum Thema

Herr Hunziker, wie viele Männer haben im vergangenen Jahr bei Ihnen Zuflucht gefunden?
Wir haben 21 Männer, 9 Buben und 2 Mädchen bei uns aufgenommen. Sie haben insgesamt 387 Nächte bei uns verbracht. Vor allem Beratungen sind sehr gefragt. Wir haben über 600 Beratungsgespräche durchgeführt. Es läuft also sehr gut – auch wenn man in unserem Fall nicht wirklich froh sein kann, wenn das Haus voll belegt ist. Schliesslich steht hinter jedem Besucher ein tragisches Schicksal.

Mit welchen Fällen wurden Sie konfrontiert?
Wir hatten Fälle von physischen Übergriffen, vor allem aber ging es um psychische Gewalt. Auch das kann zu unerträglichen Situationen für Männer und Kinder führen. Wir gehen nicht davon aus, dass die Täterinnen grundsätzlich böse sind. Oft können private Umstände wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit dazu führen, dass Gewalt angewendet wird.

Gab es besonders harte Fälle?
Alle Fälle sind krass – insbesondere wenn ich sehe, wie die Kinder unter der Situation leiden. Auffällig war die Geschichte eines Mannes, der sowohl psychische als auch physische Gewalt durch seine Frau erlitten hat. Er kam zu uns ins Väterhaus und nach zehn Tagen musste er einen Termin für ein Eheschutzverfahren – also eine gerichtliche Trennung – wahrnehmen. Dort wurde ihm in einem Kurzverfahren innerhalb von einer halben Stunde sowohl die Wohnung als auch das Kind weggenommen.

Das Gericht glaubte der Frau mehr als dem Mann?
Ja. Sie bekam den Sohn zugesprochen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt in einer psychiatrischen Klinik war. Es passiert leider immer wieder, dass der Version der Frau mehr Glauben geschenkt wird als der des Mannes. Die strukturelle Gewalt des Staates ist da manchmal noch schlimmer als die häusliche Gewalt.

Sie haben die Situation der Kinder angesprochen. Bringen viele Väter ihre Kinder mit?
Männer nehmen ihre Kinder nicht so schnell mit wie Frauen – selbst wenn sie das Sorgerecht haben. Bis ein Mann den Schritt in unsere Einrichtung wagt, braucht es enorm viel. Die Situation ist dann bereits so verfahren, dass auch die Kinder weg wollen. Man sieht es den Kindern auch an, dass sie leiden. Sie sind verwirrt und von den Umständen traumatisiert.

Werden Kinder speziell betreut?
Nein. Wir geben ihnen einen Unterschlupf. Die Väter müssen aber selbst auf die Kinder achten. Das ist unerlässlich. Sie sollen die Kinder nicht abgeben. Wir begleiten beide und unterstützen sie darin, nach Lösungen für ihre Situation zu suchen.

Und war Ihre Unterstützung oft von Erfolg gekrönt?
Das lässt sich nicht leicht sagen. Viele der Männer gehen zurück zu ihren Frauen, einige davon stehen dann nach ein paar Wochen wieder da, weil die Situation zu Hause zu verfahren ist. Erfolgreich sind wir darin, die Männer zu motivieren, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Gibt es bereits Expansionspläne für das Väterhaus?
Ja, wir wollen so schnell wie möglich expandieren. Wir müssen aber die finanziellen Mittel finden. Derzeit sind wir zu 100 Prozent privat finanziert.

Wollen die Kantone Geld investieren?
Bis jetzt gibt es keine Anzeichen, dass die Kantone sich beteiligen werden. Wir bemühen uns derzeit um Leistungsaufträge. Die Zusammenarbeit und Vernetzung mit den sozialen Institutionen in den Kantonen Aargau, Zürich und Bern ist bereits jetzt sehr eng. Und wir sind überzeugt, dass das Bedürfnis für unser Angebot gross ist. Zumal die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen, dass der Anteil der häuslichen Gewalt an Männern bei 25 Prozent liegt. Das gibt ein anderes Bild der Situation und nun wagen Männer eher, sich bei uns zu melden.