Michèle Binswanger am Dienstag den 15. September 2009 im Tages-Anzeiger 

Im Konfliktfall werden Männer zuweilen zu unrecht als Täter stigmatisiert!

In den vergangenen vier Wochen wurden in der Schweiz fünf Frauen zu Mörderinnen. In Aldiswil erwürgte eine Frau ihren Partner. Eine andere schnitt in Glarus einem Mann die Kehle durch. In Schwyz ersticht eine den Lebenspartner der Mutter, in Schwamendingen erschiesst eine Polizistin ihre Lebenspartnerin.

Es gehört zu den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie, dass mordende Frauen grosse Aufmerksamkeit erzeugen, denn sie widersprechen dem Klischee der Frau als friedliebender Lebensspenderin, die den Aggressionen der anderen höchstens zum Opfer fällt. Diese Delikte mögen sich zufällig gehäuft haben, aber sie zeigen, dass die Gewaltbereitschaft des schwachen Geschlechts stark zunimmt, was auch die Kriminalitätsstatistik bestätigt. Im Jahr 2006 wurden doppelt so viele Frauen wegen Körperverletzung angezeigt als noch 2002. Immer öfter prügeln auf den Pausenplätzen nicht mehr nur Jungs, sondern auch Mädchen. Und Fachleute gehen davon aus, dass bei der häuslichen Gewalt Frauen mittlerweile genauso oft zuschlagen, wie die Männer. Aber sind diese brutalen Brünhilden denn nun tatsächlich eine Folge des Feminismus, wie zum Beispiel der «Blick» vermutet? Oder ist das falsch gefragt?

Es ist davon auszugehen, dass mordende Frauen auch in Zukunft eher ein Randphänomen bleiben – weibliche Aggression, zumal in der Beziehung, ist das sicherlich nicht. Gerade in konfliktbeladenen Partnerschaften kommen oft ihre subtileren, psychologischen Formen zum Tragen, welche natürlich kaum nachzuweisen sind. Und so hat der Feminismus die Verhältnisse tatsächlich zugunsten der Frauen verschoben – das Nachsehen haben dabei die Männer. Diese These vertritt jedenfalls der Kriminologe Michael Bock. Frauen, sagt er, hätten heute ein Monopol auf den Opferstatus und bestimmten die Diskussion, gerade um häusliche Gewalt sowohl auf der ideologischen wie auf der institutionellen Ebene. Mit der Folge, dass Männer beim Opferschutz krass benachteiligt werden. Nicht nur verlieren Männer aufgrund unserer Rollenbilder schnell das Gesicht, wenn sie sich als Opfer von Frauengewalt darstellen, in vielen Fällen – und gerade wenn es um Sorgerechtsstreitigkeiten geht, werde ihnen auch nicht geglaubt. Im Konfliktfall würden Männer von vornherein und zu Unrecht als Täter stigmatisiert, die Frauen dagegen hätten sofort das rechtliche Instrumentarium in der Hand, um «störende» Partner zu enteignen und loszuwerden.

Bocks Thesen provozieren, zumal er den Frauennetzwerken Filz und Vetternwirtschaft vorwirft. Dies mag etwas kurzsichtig sein – aber seine Forderung, beim gesellschaftlichen Umgang mit häuslicher Gewalt genauer hinzusehen, ist berechtigt. Der Anteil der Frauen an konfliktreichen Partnerschaften darf tatsächlich nicht verdrängt werden und es sollte die erste Pflicht sein, die gemeinsame Geschichte einer solchen Beziehung ohne ideologische Scheuklappen anzugehen.

Was meinen Sie? Ist unsere Gesellschaft auf einem Auge blind, wenn es um häusliche Gewalt geht? Oder ist das Problem gewalttätiger Frauen im Gegensatz zur Männergewalt so marginal, dass auch in Kauf genommen werden kann, dass einzelne Männer ungerecht behandelt werden?

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